Liebe Freunde und Bekannte von Andrea Hillen,

ich freue mich, dass ihr alle gekommen seid und ich möchte Berit und dem LOT-Team danken, dass heute die Ausstellung von Andreas Bildern stattfinden kann.

Eigentlich hatte Andrea eine Ausstellung für den Herbst 2021 geplant, aber wie die meisten wissen, hat ihre Lebenszeit, wie sie es immer nannte, nicht mehr gereicht. Im Vorfeld der geplanten Ausstellung meinte sie, wie wäre es, wenn du mal etwas zu meinen Bildern sagen würdest, dir fällt doch sicher was dazu ein.

Nun stehe ich hier und versuche ihrem Wunsch nachzukommen. Damals, nachdem sie ihren Wunsch geäußert hatte, fiel mir spontan zu ihren Bildern und auch zu ihrem Wesen eine Passage aus einem Lied von Bob Dylan ein, in der es heißt:

Whatever colors you have
In your mind
I’ll show them to you
And you’ll see them shine

Welche Farben dir auch vorschweben mögen // An was für Farben du auch denken magst, ich zeige sie dir und du wirst sie leuchten sehen.

Etwas von sich zeigen, etwas Berührendes, das wir nicht in Worte fassen können – das finde ich in Andreas Bildern wieder, in der Verbindung zwischen den farbenreichen Oberflächen und der verborgenen Tiefe.

„Deine Farben haben unser Leben zum Leuchten gebracht“, stand auf der Trauerkarte. Es waren auch die Farben deines Wesens, deiner Persönlichkeit. Die Art, wie du dich gekleidet hast, wie du dich bewegt und gesprochen hast, wie du Menschen begegnet bist.

Das hat nicht nur mich fasziniert. Ich habe im letzten Jahr mit vielen Freunden von Andrea gesprochen und oft fielen Sätze wie: sie hat mich inspiriert, sie hat mich auf neue Gedanken gebracht, auch provoziert hat sie mich. Und Toni, ein 82-jähriger Fotograf meinte, ich habe Andrea leider nicht kennengelernt, aber in ihren Bildern bin ich ihrer Seele begegnet.

In der Fähigkeit zu berühren, zeigt sich meines Erachtens, ob Kunst bzw. ein Kunstwerk, eine tiefere Wahrheit, ein Geheimnis zum Ausdruck bringen kann. Beim Betrachten eines Bildes etwas zu empfinden, das uns berührt, das in uns etwas zum Aufscheinen bringt, das ist unbestechlich.

Andreas Bilder haben mich immer berührt, in mehrfacher Hinsicht. Zum einen durch die Themen, die sie für ihre Bilder immer wieder neu gewählt hat, die Eitempera Technik, die Farbvielfalt – und vermutlich das Wichtigste: die verborgene Tiefe und die Geheimnisse, denen ich immer wieder begegnet bin.

Sie arbeitete auf eine gewisse Weise kompromisslos, ihre Bilder entstanden nach einem inneren Kompass, einem Empfinden, das in ihr heranreifte, das nach keinem Markt schielte, das auf Begegnung beruhte, das Raum und Zeit für die innere Zwiesprache fand und schließlich auf einem Sein beruhte, das sich im Eigensinn entfaltete.

Eigene Sinne, ja, das hatte Andrea, ihre inneren Bilder entstanden oftmals auf Reisen, sie benutze so gut wie keinen Notizblock, auch kann ich mich nicht an Foto-Vorlagen erinnern. Ihre Bilder, denke ich, entstanden in der Stille, aus Erlebtem, aus einem Sehen und einer Sinnlichkeit, die sie verinnerlichen konnte.

In vielen ihrer Bilder zeigt sie sich unmittelbar und rätselhaft zugleich, und die Farben, die mir entgegen leuchten, in manchen Momenten leuchten sie auch in mir.

Andrea wusste, wie man sich selbst gehört, dachte ich oftmals, zumindest in den Zeiten ihres Schaffens, indem sie in ihrem Inneren gut verweilen konnte, indem sie frei war, indem sie etwas schuf mit Sinnlichkeit, indem sie Sinnbilder schuf. Ja, das Wort Sinnbilder wäre vielleicht auch ein guter Titel für die Ausstellung gewesen.

Andrea hat ihre Bilder in meinem Beisein niemals kommentiert. Die einzige Anmerkung, die sie ab und an bei der Entstehung ihrer Bilder hatte: mir fehlt noch die Tiefe. Sie arbeitete dann so lange, bis sie dem Bild die Tiefe gegeben hatte, die sie sich vorstellte. Erst nach Jahren habe ich erspürt, was die Tiefe in ihren Gedanken und die Tiefe in ihren Werken sein könnte.

Platz finden, für das Unsagbare, für das Unerklärliche, für den Trost, und den Schmerz, für die Selbstvergessenheit, für die Freude im Atelier, für Gedanken, die mich bis ans Ende meiner Zeit begleiten.

Nirgends hat man so viel Freiheit und nirgends kann man sich so gut verstellen und verstecken wie in der Kunst. Man kann Gesichter grün oder blau malen und Augen an Stellen, wo sie nicht hingehören. Man kann den Sommer groß und die Milch schwarz nennen, Himmel können einstürzen und Höllen sich auftun und im nächsten Moment kann wieder Frieden einkehren. Andrea hat den Bogen der Freiheit in ganzer Länge durchmessen. Sie ist anwesend in ihren Bildern, aber sie hält sich im Verborgenen.

Vor kurzem las ich in einem Interview ein paar Zeilen von Ferdinand von Schirach, die gut zu Andreas Bildern passen, die auch ihr gut gefallen hätten.

„Ich vermisse das Heilige, es verschwindet allmählich aus unserer Welt. Das Geheimnis, das Wunderbare und Unerklärliche ist der tiefere Grund für Kunst. Wenn es das nicht mehr gibt, dann verschwindet auch sie. Dann ist alles durchdekliniert und sieht aus wie die Oberfläche eines i-Phone. Das ist nicht mehr meine Welt.“

Zum Schluss möchte ich noch zu drei von Andreas Bildern ein paar Anmerkungen machen: Das Bild Tango Argentino zeigt drei Bandoneon Spieler, eine Szene aus Buenos Aires. Jeder der Männer ist in sich versunken, sie halten Zwiesprache über die Tango Klänge, jeder schaut in eine andere Richtung, der Mann in der Mitte trägt eine Sonnenbrille, vielleicht ist er blind, jedenfalls sieht man, dass sie sich blind verstehen.

Der Mann rechts neben ihm spielt mit geschlossenen Augen, er ist ganz bei sich und doch mit den anderen verbunden. Beim Tango geht es fast immer um die Liebe, um die Einsamkeit, um das Verlangen und oftmals auch um den Tod. Manchmal, wenn ich das Bild betrachte, überkommt mich der Gedanke: wie gerne wäre ich jetzt einer von euch. Im Zwiegespräch sein, mit geschlossenen Augen, getragen vom Tango.

Der Brief, ein Bild aus dem Jahre 2013: Eine Frau mit fast geschlossenen Augen, nach innen schauend, sie hält einen Stift in der Hand, vor ihr ein Blatt Papier, sie ist im Zwiegespräch mit sich selbst und einem unsichtbaren Gegenüber, Gedanken, die zu Zeilen werden, Stille. Wie malt man einen Menschen, der mit sich ist, der einen Brief schreibt, der etwas von sich zeigt im Geschriebenen.  Andrea Hillen hat dieses Bild gemalt.

Andrea malte im Januar und Februar 2021 noch drei Bilder, auch in dem Bewusstsein, dass es ihre letzten Bilder sein werden, auch im Angesicht der kommenden Monate. Alle drei Bilder sind hier in der Ausstellung zu sehen.

Teatime zeigt eine Frau mit roter Mütze und roten Lippen – Andrea liebte verrückte Mützen, alle Farben durften sie haben, so wie ihre Bilder alle Farben haben durften.

Die Frau mit der roten Mütze und den roten Lippen schaut aus sich hinaus, so, als könnte sie die Zukunft erahnen, frei sein von ihrem Inneren und dem Gewesenen, sehend was da kommt. Sie wirkt ruhig und gelassen, sie braucht keine Ordnung mehr, sie lässt alles geschehen. Um sie herum hat sich das Chaos und die Unordnung ausgebreitet, ein farbiges Durcheinander. Das alles berührt sie nicht mehr. Durch ihr Gesicht schwimmt ein Fisch, knapp unter ihren Augen, er streicht sanft über ihre Wangen und ihre Nase, ihr Blick bleibt ungestört. Das letzte Bild, war es ein Selbstportrait? Wir wissen es nicht und werden es nie mehr erfahren.

Ingo Bittner, Oktober 2022

Preisliste der noch verkäuflichen Bilder von Andrea Hillen